Im Jahr 1948 war ich Ziegenhirt beim Glitschè (Gletscher) auf der Ziegenalp. Die Alphütte war auf dem Gebiet, wo die Kühe ihre Ruheplätze hatten. Die Ziegen mussten am Morgen, wenn sie gemolken waren, hinauf zur Greina, die Steilhänge hinauf. Oder auch hinein in Richtung Medel. Aber sie durften ja nicht von den Weiden der Kühe fressen. Wir hatten drei-, vierhundert Ziegen.
Ein Cousin meiner Mutter war Alpmeister und hatte gefragt, ob ich nicht Lust hätte hinein zu gehen. Dort war ein Senn aus Cumpadials, den er kannte und ich hatte geantwortet: “doch, doch”. 1948 hat es geschüttet. Ich weiss nicht, ob es drei Wochen schön war – es hat immer nur geschüttet… Miserable Schuhe und jeder hatte so eine schwarze Pelerine (Regenüberzug) mit einer Kapuze, alles war durchnässt. Am Morgen, wenn man sie anzog war sie schwer vor lauter Nässe. Da war kein Ofen, nichts. Der Boden war aus Erde, festgestampfte Erde. Da hatte man den Strohsack in der Schlafpritsche. Der Senn schlief oben, ich unten. Und es schüttete und schüttete. Dann waren wir beim Melken und es schüttete noch viel mehr. Die Ziegen haben es gar nicht gern, wenn es regnet. Also sprangen sie hinunter zur Hütte und standen Kopf an Kopf unter dem Vordach. Es war kaum möglich zu melken. Dann kam der Befehl: “Bub, hol sie!” Dann nahm ich den Stock und scheuchte sie hinaus unter einen grossen Ahorn, wo sie etwas Schutz hatten. Nach einer Weile lief eine wieder weg und alle anderen hinterher. Jeden Tag das gleiche Lied, man wurde halb verrückt. Eines abends fing es wieder an zu schütten, es hatte bereits den ganzen Tag geregnet und es war stockdunkel. Wir hatten die Hütte auf einem Vorsprung eines Hügels. Da blitzte es und es roch nach Schwefel, die Steine… Wir lagen im Bett und der Senn sagte: “Morgen liegen wir vielleicht da unten, tot.”
Am Morgen sind wir aufgestanden und dann hatte es begonnen aufzuhören. Da wollten wir die Ziegen runter und über den Rhein von Viuz, der von Medel kommt. Die Brücke war weg, nichts – gar nichts und es kam sehr viel Wasser. Was wollten wir tun. Wir gingen hinaus um zu schauen, wo die andere Brücke sei. Auch diese, weg. Und wir mussten den Käse hinunter bringen, wir hatten keinen Keller auf der Alp. Wir mussten jeden Tag hinaus über die Brücke, wo heute die Staumauer ist, mit dem Käse und dem Ziger auf dem Rücken. Das war ein miserables Leben.
Eines Tages stand ich plötzlich mit meinen Füssen auf einem Seil. Es war in vier Teile, aber intakt, ein Militärseil. Das Militär hatte Hütten hier oben und wahrscheinlich hatten sie das Seil vergessen. So ging ich zur Hütte zurück und erzählte, ich hätte dieses Seil gefunden. Wir gingen hinaus, wo die Brücke war, liefen durchs Wasser und banden das Seil an einen Baum und auf dieser Seite an einen grossen Stein. Dann ein kleines Seil an einer Rolle darüber und so sind wir zwei Wochen lang mit der Ware hin und her.
Es dauerte Tage bis das Wasser zurück ging und die Bauern hinein kamen. Sie hatten geschaut, wo die beiden Ufer am nächsten beieinander waren und hatten dann eine neue Brücke gebaut. Das war die Geschichte dieses Sommers.