90% dienten als Knecht oder Magd.

Gabriel Alig
Gabriel Alig

Wie war es mit Heiraten? Wurde in erster Linie innerhalb der Gemeinde geheiratet oder gab es auch Vermählungen mit Personen aus dem übrigen Tal?

Zu späteren Zeiten, als die jungen Frauen als Dienstmädchen in Haushalten anderer Dörfer des Tals angestellt waren, gab es schon die eine oder andere Heirat ausserhalb des Dorfes.

Als Knecht oder Hausmädchen in einem fremden Haushalt zu dienen, war damals das Schicksal vieler. Bestand auch die Möglichkeit, eine Lehre oder Ausbildung zu machen?

Uns bereitete schon der Besuch der Sekundarschule Probleme. Diese befand sich nämlich in Vella, also weit weg. Damals gab es nur das Pferde-Postauto, welches morgens um 6:30 Uhr ab Vrin abfuhr, um die Mittagszeit kam und ging und abends um 21:30 Uhr wieder zurückkehrte. Diejenigen, die studieren gehen wollten, mussten dies weit weg ausserhalb des Tals tun. Davon gab es nur sehr wenige, die meisten wurden Pfarrer. Eine Lehre machte fast niemand.

Dorfansicht Vrin-Cons
Vrin-Cons © C. Meisser, Staatsarchiv Graubünden

Den meisten blieb somit nichts Anderes übrig, als für andere oder als Bauer zu arbeiten?

90 Prozent aller, die nicht in der familieneigenen Landwirtschaft mithelfen konnten, dienten als Knecht oder Magd. Die Löhne waren minimal und reduzierten sich meist auf Kost und Logis.

Eine regelmässige Arbeitszeit von acht Stunden kannte man damals nicht. Man verfügte über keine fixe Freizeit, um sich zu vergnügen?

Man kam auf etwa zehn Stunden Arbeit pro Tag. Auch samstags haben wir gearbeitet, mindestens am Vormittag. Zudem musste man zu Hause mithelfen und da niemand über ein Motorfahrzeug verfügte, mussten alle Arbeitswege zu Fuss zurückgelegt werden. In der Kriegszeit mussten die Frauen ausserdem nebst der Arbeit im Hause auch die Arbeit auf dem Feld verrichten.

Wie haben Sie den Zweiten Weltkrieg erlebt?

Im August 1939, als die Mobilmachung proklamiert wurde, war die Situation kritisch. Alle Männer zwischen 20 und 48 Jahren mussten von einem Tag auf den anderen an die Grenze, um Militärdienst zu leisten. Als sich die Situation als doch nicht so dramatisch erwies, durften die Bauern einige Tage nach Hause, um die anstehenden Arbeiten zu verrichten.

Die einzige Möglichkeit über den Krieg informiert zu sein, bestand in der romanischen Zeitung, die man man einmal pro Woche bekam. Dort wurde höchstens auf einer halben Seite vom Krieg berichtet. Man hatte kein Radio, geschweige denn einen Fernseher. War die Armut zu Kriegszeiten grösser?

Wurde das Alltagsleben durch den Krieg stark eingeschränkt?

Man bekam schon Einschränkungen zu spüren, obwohl man eigentlich alles selbst produzierte, mit Ausnahme von Polenta, Mehl, Zucker oder Salz. Schlimm war es jedoch nicht. Ich denke, die Leute in den Städten litten viel stärker darunter. An Hungersnot musste in den Bergen niemand leiden. In Vrin wurde für diejenigen, die kein eigenes Land besassen, Weidefläche in Tgiern zur Verfügung gestellt, um Kartoffeln anzupflanzen.