Mein Mann war 34, als wir heirateten, ich 37. Als ich aus der Schule kam, liessen sie mich nach Ingenbohl in die Haushaltungsschule gehen. Wir hatten eine ledige Tante, die hatte immer zu meinen Grosseltern geschaut. Sie hatte gesagt “du bist wie geschaffen dafür”, so bin ich in der ganzen Schweiz herumgereist und habe Mal das und Mal jenes getan.
In diesem Fall sind Sie oft weg gewesen?
Ja, zwei Jahre war ich in Solothurn beim Dr. Caplazi und habe in der Praxis geholfen. Er hatte einen Arzt aus Rumänien, der war schon klug. Er hatte Frau und zwei Töchter, die in Zürich wohnten. Er fuhr jeden Abend nach Hause.
Danach war ich in Sumvitg und in Disentis, Rabius und in Trun und habe Leute gepflegt. Ein Pater des Klosters, das war während des Krieges in diesem Afrika oder Biafra oder was weiss ich, wie dieses Land heisst….dieser Pater hatte gesagt “ja nicht nach Afrika gehen, um dort zu helfen. Wir haben hier Armut bis über die Ohren”. Das waren schon schlimme Jahre. 1940 – 1945, während des Krieges gab es viel Armut hier in unseren Dörfern. Solche Armut herrscht heute in anderen Ländern aber noch viel schlimmer.
Und dann, eben, bevor ich nach Zürich ging, habe ich beim Fräulein Caplazi in Rabius den Haushalt geführt. Wenn sie in den Ferien war, erledigte ich die Arbeiten der Post. Da waren nur einige Häuser, die vormittags und nachmittags Post bekamen. Die anderen, das ganze Dorf und die Weiher hatten nur an einem Tag der Woche nachmittags Postlieferungen. Das machte ein anderes Fräulein.
Hörten oder wussten Sie, was während des Krieges in der Welt passierte?
Ja, ja, das mit den Deutschen natürlich, eine Zeit lang mussten sie sogar an die Grenze, als sie gerufen wurden. Mein Mann musste alles stehen und liegen lassen.
Musste Ihr Mann auch in den Krieg?
Nein. Aber der Onkel war gekommen und hatte gesagt “Du musst! Ich bin hier als Gemeindevorstand von Sumvitg und ich verlange nach dir.” Du musst die Sense und das Emd ruhen lassen und auf die Alp zum Käsen gehen. Auf der Alp sind Jüngere und die müssen ins Militär. Morgen müssen sie gehen. Dann musst du oben sein und wissen, wie es geht.” So ging das während des Krieges. So ist man hiergeblieben und hat da und dort geholfen. Unter Anderem war ich ein paar Jahre beim Fräulein Caplazi in Rabius.
Der Vater dieses Fräuleins Caplazi führte die Post in Rabius. Von dort bin ich dann nach Zürich und war dort bei einem alten Mann. Ein Jahr, zwei bin ich bei diesem Herrn Meier gewesen. Er war alleine und war steinreich, ein guter Mann. Der hat viel Gutes getan. Natürlich, er kannte meine Verhältnisse. Dann sagte er manchmal “geh hierhin oder dahin, in dieser Strasse findest du einen Laden der Pro Juventute (Kinder- und Jugendorganisation)…” Nun, das war für die Bedürftigen… “geh und rede mit diesen Frauen”. Dann bin ich einmal dahingegangen und diese Frau hat mich in einen Keller geführt. Ich erzählte ihr von der Armut, von den vielen Familien mit acht oder zehn Kindern, eine schreckliche Armut.
Das war ein Keller, gross wie dieses Haus hier. Die Frau sagte “Dort, diese Türe können Sie öffnen und dort hat es Kartons und hier können Sie nehmen, was Sie wollen. Suchen Sie sich aus, was Sie wollen und schreiben Sie die Adresse auf die Kartons und schicken Sie alles an die Bedürftigen. ’ So hatte ich das dann hinaufgeschickt. Das war schon bitter nötig. Ich habe noch Jahre später, als wir geheiratet haben – wir haben 1955 geheiratet – habe ich in Disentis und in Trun Kinder getroffen, für die ich gesorgt hatte.
Die Mutter lag im Bett und hatte noch einige Kinder. Diese Kinder waren glücklich, wenn man ihnen nur ein Lied vorsang oder ein Märchen erzählte. Da hätte keiner gesagt, die Polenta esse ich nicht. Da assen alle alles und waren zufrieden. Aber diese Kinder haben mich noch Jahre später gegrüsst. Jessas ja, die schliefen zwei Kopf oben und zwei Kopf unten, zu viert im gleichen Bett.