Haben Sie das Gefühl, die Welt sei heute besser oder, dass es früher besser war?
Och, das ist schwer zu sagen. Damals war ein ganz anderes Leben, alles einfacher. Aber nicht, dass es schlechter gewesen wäre – es hatte auch seine Mängel damals. Wenn ich bedenke, wie diese Bauern sich oft abrackern mussten. In vielen Belangen war es besser, in anderen schlechter.
Man war zufriedener und freute sich über alles: im Mai aufs Maiensäss zu können oder so, das war schon fast wie Ferien. Klar, heute ist ein ganz anderes Leben. Die Jüngeren können sich gar nicht vorstellen, wie das war. Diese Einfachheit und das alles. Aber man war zufrieden und konnte sich irgendwie viel besser freuen. Die Solidarität zwischen den Familien oder den Leuten allgemein war vielleicht grösser. Die Grosseltern vaterseits wohnten im gleichen Dorf. Da war man ständig bei einander, einmal wir bei ihnen, einmal sie bei uns. Im Herbst gab es immer etwas Besonderes. Darauf freuten wir uns schon lange vorher: Da gab es immer ein vergünstigtes Billett, um eine Reise zu machen. Das wussten wir und wir durften immer gehen. Zwei Mal durfte man meistens mit dem gleichen Billett fahren und wir freuten uns den ganzen Sommer. Mit der Bahn durfte man im ganzen Kanton umherreisen. Das war fast wie der Lohn für den Sommer und wir freuten uns schon lange vorher. Wir nannten das “das billige Billett”. Da fuhr man nicht so weit, vielleicht Mal nach Davos, ins Engadin oder so. Aber das waren schon Reisen für uns, das waren Erlebnisse! Da konnte man zum Bahnhof gehen und da standen immer viele Leute, die das Billett nutzten.
Was auch noch schön war damals, waren die Kirchweihfeste, die „perdanonzas“. Da lud man Verwandte und Freunde ein und wir hatten oft bis zu 20 Gäste. Aber man war irgendwie vereint mit den Verwandten und man ging dann gegenseitig zu den Festen. Wir gingen auch zu ihnen, wenn sie Perdanonza hatten. Das war schön.
Da gab es ein besonderes Mittagessen, das kochte man alles zu Hause. Das war dann ein Festessen mit Torten und Cremes und allerlei. Ich weiss, wenn wir bei einer Tante zu Besuch waren, sie kochte immer – die Mutter konnte das nicht kochen – wir nannten sie “pèschs da feglia” (Mahlzeit mit Fisch). Das war ähnlich wie Pasteten und das war etwas sehr Spezielles. Etwas anderes als wir zu Hause hatten. An den Sonntagen gab es nie Polenta. Wir hatten schon etwas Fleisch, Kartoffelstock oder Bratkartoffeln. Die Mutter legte Wert auf eine gute Küche. Wir hatten einen schönen Gemüsegarten. Obstbäume hatten wir auch, Birnen, Äpfel und Pflaumen. Bei uns gab es viel Früchte. Wir machten oft Hollunderbeerkonfitüre, davon hatten wir ganze Steinzeugkrüge. Ich weiss, mit uns im Haus wohnte eine Tante. Mit ihr zusammen holte die Mutter die Hollunderbeeren. Ganze Heukörbe voll. Da gingen wir in die Waschküche und legten alles in einen grossen Kessel, wie zum Käsen. Das war schon etwas Gutes! Vieles mussten wir aber auch kaufen. Pasta, Maccaroni und Spaghetti und so. Das eigene Mehl reichte auch nicht. Wir waren eine so grosse Familie.