Eine Brücke aus Holz und gefrorenem Schnee

Simeon Alig
Simeon Alig © Gieri Antoni Caviezel

Was war früher im Vergleich zu heute besser oder schlechter?

Das ist schwierig zu sagen. So arm waren wir nun auch wieder nicht.

Empfand man Armut im Kindesalter nicht als etwas Negatives?

Nein, man hatte wirklich alles, was man brauchte. Im Vergleich zu dem, was die Kinder heute alles besitzen, war das natürlich so gut wie gar nichts.

Familie Casanova in Vrin
Familie Casanova in Vrin © W. Derichsweiler, Fototeca dal DRG

Bekam Ihre Mutter damals eigentlich eine Rente als der Vater starb?

Ja, eine kleine, was jedoch nicht im Geringsten ausreichte. Meine Geschwister und ich mussten deshalb, so bald als irgendwie möglich arbeiten gehen, um Geld zu verdienen. Jede Familie musste schauen, dass sie über die Runde kam, was bedeutete, so viel wie möglich selbst herzustellen. Die Bauern haben auch ihre Ställe selbst gebaut. Ich kann mich noch erinnern, wie meine Schwester und ich zum ersten Mal mit einem Ochsengespann Holz im Wald geholt haben, weil die anderen im Militärdienst waren und das Holz ausgegangen war. Von richtigen Strassen konnte nicht die Rede sein und zudem gab es damals nur Notbrücken, sogenannte „surfisas“.

Das müssen Sie erklären.

Um die Bäche zu überqueren, wurden im Spätherbst Äste ins Wasser geworfen, welche in der Folge zu Eis gefroren. Darauf wurde Schnee geworfen, womit im Laufe der Zeit eine Art Brücke entstand. Das war die einzige Möglichkeit, mit einem Fuhrwerk auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. An Holz zu kommen, war damals nicht einfach. Es galt als Mangelware. Wir haben oft grünes Holz gespalten und dieses abends neben den Ofen gelegt, damit es am nächsten Tag einigermassen brannte.

Sie haben nach der Schule eine Lehre absolviert, was zu dieser Zeit nicht sehr häufig vorkam. 

Ja, ich war einer der einzigen, der damals eine Lehre absolviert hat und zwar in Lenzerheide, wo mein Bruder als Pfarrer tätig war. Glücklicherweise stammte mein Arbeitgeber aus einer romanischen Familie, was es mir ersparte, während der Arbeit Deutsch zu sprechen. In der Gewerbeschule hingegen war Deutsch die Unterrichtssprache.

Wie lange hat diese Lehre gedauert?

Drei Jahre. Zur Schule gingen wir in Tiefencastel, später in Chur. Für diesen Weg habe ich mir ein Fahrrad gekauft und unter grosser Anstrengung erlernt.

Wie oft konnten Sie nach Hause kommen?

Ich bin über ein Jahr lang nicht zurückgekehrt. Bei meinem Bruder war ich aber gut aufgehoben.