Die Gewerbe im Dorf

Clau Soler
Clau Solèr

Industrie gab es keine. Die Gemeinschaften, die Dorfschaften hatten immer Leute, welche die Fähigkeiten hatten und die Sachen herstellen konnten, die man gerade brauchte.

Holzgeschirr konnte man machen, das waren die Drechsler. Wagen mussten sie nicht unbedingt bauen, aber Schlitten. Einzelne Sachen konnten die Bauern selbst herstellen. Zimmerleute gab es, Schreiner… aber man darf nicht vergessen, das waren nicht ausgebildete Berufsschreiner, sondern der Schreiner hat dann nebenbei auch noch Landwirtschaft betrieben, wenigstens für seine eigenen Bedürfnisse.

Joch
Joch / Giuv@ Archiv Cultural Sumvitg

Dann gab es Schmiede, aber nicht in jeder Dorfschaft. Hebammen gab es aber auch, sie waren nicht unbedingt in dem Sinn professionell ausgebildet, sondern das waren Frauen, die diese Erfahrung hatten und immer wieder geholt wurden. Genau gleich gab es zum Beispiel Frauen, die immer die Toten ankleideten und aufbahrten oder Kinder pflegten oder so. Das waren die Fähigkeiten, die in den Dorfschaften vorhanden waren.

Erst später hat dann der Kanton Graubünden eingeführt, dass es Hebammen, promovierte oder sagen wir, ausgebildete Hebammen gab. Dann sind dann auch die Ärzte gekommen und da gab es etwas Unruhe, weil diese fanden, dass diese Hebammen das nicht so gut machen. Wenn der Weg ganz weit war, durfte die Hebamme gehen, aber den Lohn bekam der Arzt. Also den Hebammen ging es nicht besonders gut, obwohl sie viel erfahrener gewesen wären in Sachen Geburten. Es gab dann auch Ärzte, die erfahren waren. Aber Ärzte, wie wir sie kennen, mit Ausbildung, gibt es erst ab 1850 in der Gegend hier. Es gab schon einzelne, aber das waren eher Wundärzte. Diese waren ausgebildet während der Kriegsdienste und daher hatten sie auch eine gewisse Erfahrung mit Amputationen usw. Ein Arzt war in Trun und einer in Disentis, später dann in Rabius. Mit Krankenkasse gesichert war die Versorgung erst so ab 1900. Einzelne Krankheiten konnte man bereits heilen, aber sehr viel konnte man gar nicht heilen. Aber das war nicht nur hier so, das war in der gesamten Innerschweiz so und auch im Unterland. Graubünden war bis 1830/40 ein armes Bauernland, wo man nichts hatte – ausser einem Haufen Kinder. Diese schickte man ins Ausland als Soldaten oder nach Amerika oder nach Australien oder natürlich nach Italien oder Frankreich. Aber sonst hatte man sehr, sehr wenig. Erst der Schweizer Bundesstaat – so ab 1840 – hat dann angefangen, auch etwas für die einheimische Bevölkerung zu tun. Bis dahin war alles sehr, sehr arm. Nur in den Städten gab es etwas mehr, aber sonst hatten sie wirklich sehr wenig.

Vanescha bei Vrin
Vanescha bei Vrin © W. Derichsweiler, Fototeca dal DRG

Ferien gab es nicht. In die Ferien gehen, hiess auf die Maiensässe gehen. Viele mussten auswandern in den 30er und 40er Jahren. Einer oder zwei konnten daheimbleiben und die anderen mussten auswandern. Im 20. Jahrhundert sind viele ins Unterland (Schweizer Mittelland) gegangen in die Fabriken oder auf die Baustellen. Je nachdem, wenn sie ein bisschen Ausbildung gehabt haben, konnten sie weiterkommen. Je nachdem wie gute es eine Familie hatte – vielleicht war auch einer ausgewandert oder sie hatten eine bessere Arbeit – die schickten gelegentlich eines der Kinder auswärts, schon im 19. Jahrhundert, um Deutsch zu lernen – vielleicht um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Die kamen dann häufig zurück und übernahmen Dienste wie Gemeindevorsteher, Sekretäre oder so etwas.

Alter Pflug in Vrin
Alter Pflug in Vrin © F. G. Stebler, Fototeca dal DRG

Das sind häufig auch traditionelle Familien, die früher vielleicht die Pfründe (Einkünfte) hatten und die versuchten natürlich, dass in der Familie zu behalten und so ihr Gut etwas zu vergrössern. Es waren nicht alle gleich arm. Man darf nicht vergessen, die Bauern benötigten die Handwerker schon, aber sie wollten sie praktisch nie bezahlen. Wenn, dann höchstens mit Naturalien. Das war denn auch der Grund, dass fast alle Handwerker daneben auch noch ein bisschen Landwirtschaft betrieben.