Auf der Alp lernten wir schnell selbständig zu sein.

Simon Derungs
Simon Derungs

Buben aus Bauernfamilien wurden früher oft auch als Alphirten angestellt. War dies auch bei Dir der Fall?

Jawohl. Gesamthaft war ich 5 Jahre auf der Alp. Da ich an Heuschnupfen litt, war es mir auch recht den Sommer auf der Alp zu verbringen, statt beim Heuen mitzuhelfen.  Das erste Mal war ich mit neun Jahren auf der Alp Gretg in Duvin.  Diese Alp wurde mit rund 40 Kühen und ebenso viel Galtvieh und Kälbern bestossen. Vor allem am Sommeranfang war die Arbeit auf der Alp recht streng. Ich musste morgens bereits um 03.30 Uhr aufstehen und in aller Dunkelheit die Kühe einsammeln und sie zum Melkstand treiben, damit sie dort gemolken werden konnten. Die Alp besass damals noch keine Stallungen, sodass die Kühe bei jedem Wetter im Freien gemolken werden mussten.  Wenn die Kuhherde vollständig war, durfte der kleine Hirte während des Melkens nochmals für kurze Zeit auf die Pritsche. Bevor das Melken fertig war, musste ich aber wieder aufstehen, um das Morgenessen für das Alppersonal vorzubereiten. So lernte ich bereits sehr früh Polenta, Macaroni oder eine Engelspeise kochen. Das gelang mir nicht schlecht.

Nach dem Morgenessen musste ich gemeinsam mit dem Senn das grossen Butterfass stossen, um Butter zu erzeugen. Das war recht streng. Als jüngster hatte ich jeweils aber auch die Aufgabe Wasser vom Brunnen zu holen, denn die Hütte war nicht an der Wasserversorgung angeschlossen. Dabei musste ich schaurig aufpassen ja kein Wasser zu verschütten, denn der Boden der Hütte bestand aus Erde, die sonst nass und schlüpfrig wurde. Als Schweinehirt hatte ich auch die Obhut über die Schweine.

Da der Kuhhirt lieber dem Senn in der Hütte half, als die Kühe und das Galtvieh auf die Alpweiden zu treiben und zu hüten, fiel diese Aufgabe meistens mir zu und dies bei jedem Wetter. Als Mittagessen nahm ich meistens eine Scheibe Brot und ein Stück Käse mit auf die Weide. An kalten und regnerischen Tagen durfte ich in der Hütte des Schafshirten eine warme Suppe einnehmen. Ich muss gestehen, in diesem ersten Jahr auf der Alp hatte ich schon Heimweh.

Gibt es Ereignisse auf der Alp, die Dir besonders in Erinnerung blieben?

Im Sommer passierte es auf der Alp immer wieder, dass eine Kuh läufig wurde und ich diese dann nach Duvin zum Stier führen musste. Meistens konnte ich dann erst abends spät mit der Kuh auf die Alp zurückkehren. Dabei führte der Weg teilweise durch einen finsteren Wald. Da hatte ich als Neunjähriger schon mit der Angst zu tun. Hinter jedem Baumstrunk am Strassenrand vermutete ich böse Geister, darum passierte ich diese Stellen so schnell wie möglich. Die Angst aber blieb.

Das Alpleben muss Dir aber doch gefallen haben, denn Du warst in den folgenden vier Jahren wiederum als Alphirten, diesmal sogar im deutschsprachigen Vals. Wie kam es dazu?

Nach dem ersten Sommer auf der Alp von Duvin war eigentlich vorgesehen, dass ich im nächsten Sommer daheim beim Heuen helfen soll. Als die Alp Ampervreila in Vals drei Tage vor dem Alpaufzug noch keine Hirten hatten, war mein Vater bereit mich und mein zwei Jahre jüngerer Bruder als Hirten zu verpflichten. Unser Auftrag war, rund 60 Stück Galtvieh allein zu betreuen. Mein Vater hatte jedoch ausbedungen, dass wir die Mahlzeiten am Morgen und am Abend gemeinsam mit den Hirten der angrenzenden Kuh- und Geissenalp in ihrer Hütte einnehmen konnten. Dafür mussten wir morgens und abends beim Melken der rund 60 Geissen helfen. Für mich ging das recht gut, aber mein kleiner Bruder hatte damit grosse Mühe und er hatte Blasen an den Händen. Am Mittag waren wir auf der Weide und assen dort jeweils ein mitgebrachtes Stück Brot, ein Stück Käse und hie und da eine Sardine.

Da die Geissen Alp im nächsten Jahr in eine Galtviehalp umgewandelt, hatten mein Bruder und ich in den folgenden drei Jahren rund 120 Stück Vieh zu hüten. Auf der Alp lernten wir schnell selbständig zu sein und volle Verantwortung für eine grosse Viehherde zu übernehmen.

Das Alppersonal war damals eine rein Männergesellschaft. Da soll es da und dort auch zur Ausnutzung, physische Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Buben gekommen sein. Wie war das bei Euch?

Ich selbst war nie davon betroffen. Mein Bruder erlebte später einmal auf der Alp körperliche Gewalt von einem sadistischen veranlagten erwachsenen Hirten. Er litt stark darunter und magerte während des Sommers stark ab, getraute aber niemandem etwas davon zu erzählen. Erst im Herbst nach der Alpentladung getraute er schliesslich seinem Vater über das Vorgefallene zu erzählen. Der Fehlbare wurde daraufhin angeklagt und für sein Vergehen bestraft.